Jakub Kavin: An Bord der TheaterArche

ein Portrait von Mona May

Wenn Giganten des Theaterschaffens die Bühne betreten, dann kann es mitunter geschehen, dass nicht nur die Bretter, die die Welt bedeuten, sondern auch die tatsächliche Welt erzittert. Denn dann liegt Veränderung in der Luft, dann beben die alten Gedankengebäude und die Köpfe beginnen zu rauchen und so manch eine oder einer japst nach Luft, weil das was hier gespielt wird, verdammt noch einmal, an das Leben erinnert, an das Leben, wie es wirklich ist oder wie es vielen von uns wirklich widerfährt. So einen Theatermacher und sein Theater habe ich heute die Ehre euch im Rahmen meiner Aktion Goethe ist tot – wir leben vorstellen zu dürfen.

Vielseitig und ungeschminkt

Ich spreche von Jakub Kavin und seiner TheaterArche. Der Regisseur, Produzent, Schauspieler, der so nebenbei auch noch ein ausgezeichneter Fotograf ist, räumt mit einigen Klischees auf, am meisten aber mit dem Klischee des eitlen, selbstverliebten Schauspielers und Künstlers. Er zeigt sich und das Leben ungeschminkt, sowie es eben ist und so wie wir in unserer Nacktheit sind: verletzlich, angreifbar, dickbäuchig, kratzbürstig, anmutig, verstört, streitsüchtig und liebevoll und so vieles mehr.

Radikal und sozial

Als ich mich mit der Arbeit von Jakub Kavin zu beschäftigen begann, fielen mir unwillkürlich immer wieder zwei ganz große Persönlichkeiten ein: Bertolt Brecht und Samuel Beckett. Ich habe keine Ahnung was er von ihnen hält, aber wer sich ein bisschen in der Geschichte des Theaters auskennt weiß, dass Brechts Arbeit von einem radikalen gesellschaftskritischen Spiel und von einem hohen sozialen Engagement geprägt war und dass Becketts eindringliche, minimalistische Theaterwerke eine neue Ära des Theaterschaffens und des Schauspiels heraufbeschworen.

Der eigene Weg

Jakub Kavin ist in Brno, in der damaligen Tschechoslowakei und heutigemTschechien, geboren und als kleiner zweijähriger Bub mit seinen Eltern als politischer Flüchtling nach Wien gekommen. Er erinnert sich an seine Großmutter väterlicherseits, die er, wie er sagt, sehr liebte.
Nach dem Klima in seiner Kindheit befragt, sagt er: „Es war eine Mischung aus Tatendrang, Visionen, Unbeirrbarkeit und Angst, mit der ich groß wurde.“ Seine Ausbildung genoss er bei der österreichischen Theaterikone Elfriede Ott, die ihn dazu gebracht hätte die Schule zu verweigern und rausgeworfen zu werden, erzählt er mir.
Daraufhin frage ich ihn: „Würdest du von dir sagen, dass du ein Querdenker bist? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum?“ „Hmmm“ überlegt er: „Das ist jetzt zwar absurd, aber ich möchte diese Frage mit einem Zitat Eugène Ionescos beantworten: „Nicht zu denken wie die anderen bringt einen in eine unangenehme Situation. Nicht zu denken wie die anderen, dass heißt einfach, dass man denkt.“ Von seinem Lehrer Peter Hofer, der am damaligen Konservatorium der Stadt Wien unterrichtete und der als einer der Ersten gilt, der in Österreich die Sanford Meisner Technik lehrte, sagt Jakub Kavin: „Er war gefühlt der einzige Lehrer, der mir eine echte Basis für meine spätere Arbeit mitgegeben hat.“

Heimat für die Kunst

„Wie, wann und warum kam es zur Gründung der TheaterArche und was ist sie für dich?“ frage ich ihn. Und er sagt schlicht: „Die Arche wurde gegründet aus der gefühlten Notwendigkeit heraus einen offenen Raum für professionelle Künstler_innen aller Sparten und aller Provenienzen zu schaffen. Eine Heimat für Künstler_innen und ihr Publikum. Und was die TheaterArche für mich ist? Heimat. Die TheaterArche ist mein Zuhause, besser, präziser kann ich es nicht beschreiben.“ Für mich ist Jakub Kavin und die TheaterArche ein Theater der Sichtbarmachung. Zum Glück, denn genau das ist es, was wir in unserer Zeit (wieder) brauchen.

Kunst von der Basis

In der TheaterArche haben alle Platz, finden alle eine Heimat, die nach einer Heimat suchen. Hier wird nicht ausgegrenzt, hier werden Grenzen ausgelotet und auch gerne überschritten, aber nur um Möglichkeiten, bessere, eines anderen, eines gelingenden Miteinanders auszuprobieren.
Sicher, an solche Aussagen lassen sich viele Fragen knüpfen aber manchmal tut es einfach nur gut, Antworten und einen Ort der Geborgenheit zu finden.Ich will von ihm wissen, wie er zu seinen Themen findet: „Die Themen finden mich, grundsätzlich arbeite ich vom Menschen weg und nicht von einem Text als Basis. Die Basis ist der darstellende Künstler, die Künstlerin. Der Text wird erst im Laufe der Proben festgelegt. Manchmal werden Fremdtexte collagiert, ein andermal werden Improvisationen verschriftlicht, etc.“ ist seine Antwort.

Nur der Mensch zählt

Ich bin mit meinen Fragen noch nicht am Ende: „Gibt es so etwas wie eine oder auch mehrere Botschaften in deiner künstlerischen Arbeit, die dir wichtig sind?“ „Menschsein! Zu wissen, dass wir alle Menschen sind, egal auf welchem Kontinent und in welchem Land wir unter welchen Bedingungen geboren wurden. Aber eigentlich ist das keine Botschaft, die ich dem Publikum mitgeben will. Aber es ist eine Arbeitsgrundvoraussetzung für mich. Was das Publikum daraus macht ist seine Sache.“ „Gehören Kunstschaffen und soziales beziehungsweise gesellschaftskritisches Engagement für dich zusammen?“ stelle ich neugierig meine nächste Frage. „Ja. Für mich schon. Ich kann das nicht separieren. Ich kann allerdings auch keinen Boulevard machen. Das ist eine hohe, jedoch inhaltsleere Kunst, die ich nicht beherrsche.“

Heraus aus der Masse

Ich habe den Eindruck Jakub Kavin verleiht dem Denken einen Geist, der sich in Tiefen vorwagt, die andere gerne meiden und der Höhen erklimmt, die andere fürchten. Und nicht anders die Menschen, mit denen er arbeitet, als würde ein stilles Übereinkommen zwischen ihnen allen herrschen, das Menschsein in all seinen unschönen Facetten zu durchleuchten, es aber auch in all seiner Schönheit zu feiern. Als würden die Schauspieler_innen der TheaterArche einfach Menschen von der Straße sein – eine anonyme Masse – die in ihren Körpern stecken und denen sie Kleidung und Nahrung und vor allem einen Namen geben. Die Masse hebt sich dann plötzlich auf und in ihr werden die Individuen sichtbar und greifbar, niemand kann sich dann mehr in dieser anonymen Masse verstecken. So sehen wir sie, wie sie manchmal zart nach einer Hand tasten, manchmal schreien und heulen, manchmal wütend aufstampfen, manchmal Tränen erstickend weinen oder einem anderen die Tränen aus dem Gesicht wischen und manchmal lachen sie, einfach so aus einer grundlosen Freude heraus – so wie wir, so wie jede und jeder von uns – manchmal ist.

Hungerkünstler

Zum Schluss frage ich ihn noch nach Menschen, die ihn prägten oder prägen. Aus Platzgründen kann ich hier leider nur zwei – über die er Folgendes sagt – nennen: „Meine Lebensgefährtin, die japanische Koloratursopranistin Manami Okazaki. Ich hege eine große Bewunderung für sie, wie sie es schafft sich in einer fremden Kultur, trotz aller Widrigkeiten, durchzusetzen.  Und ein für mich in meinen letzten künstlerischen Arbeiten ganz besonders wichtiger Kollege ist Jammernegg Bernhardt. Er ist kompromisslos in seiner künstlerischen Arbeit. Ein Weggefährte ohne den vieles wohl nicht möglich gewesen wäre, in der Form, wie es in den letzten zweieinhalb Jahren stattgefunden hat.“

Im Jahr 2016 brachte Jakub Kavin das Stück Wir Hungerkünstlerinnen. Wir Hungerkünstler. raus, da ging ein Schrei durch das noble Wien und kurz war die Kulturpolitik gefordert hinzuschauen. Mittlerweile haben sie sich alle wieder beruhigt, nur, und da bin ich mir ganz, ganz sicher Jakub Kavin und seine TheaterArche werden sich solange bewegen, werden solange nicht still sein, bis sich etwas bewegt im Lande. Er und sein Team sind eben Giganten in der Theaterlandschaft und werden mit Gewissheit noch viele gesellschaftsverändernde Spuren hinterlassen. 2019 brachte Jakub Kavin das Stück ANSTOSS auf die Bühne, das sich mit Missbrauch im Sport auseinandersetzte. ANSTOSS wurde prompt für den Nestroypreis als Beste Off Produktion nominiert.

HIKIKOMORI

Am 29. Mai um 20 Uhr feiert sein neuestes Stück HIKIKOMORI Premiere. Als Darstellerin ist seine Lebensgefährtin Manami Okazaki zu sehen.<Inhaltlich wird das Thema soziale Isolation behandelt, ein Thema das derzeit aktueller nicht sein könnte. Der Text stammt von Sophie Reyer und Thyl Hanscho. Die Vorstellungen werden in Bezug auf Covid19 unter strengen Sicherheits- und Hygienevorkehrungen unsererseits stattfinden.Die genauen Verordnungen des Gesundheitsministerums werden am 25. Mai veröffentlicht. Die Kartenkäufe unterliegen den dann geltenden Bestimmungen. Die Premiere ist bereits ausverkauft, doch wird es noch 16 weitere Gelegenheiten geben, die Aufführung zu besuchen und zwar jeweils am Donnerstag, Freitag und Samstag. Näheres unter https://www.theaterarche.at/hikikomori/

Infos:
TheaterArche: http://www.theaterarche.at/
Jakub Kavin: http://www.jakubkavin.com/
TheaterArche auf Fb: https://www.facebook.com/theaterarche.at/

Videos:
OUTSIDERS making of:
https://www.youtube.com/watch…
Anstoß: https://www.youtube.com/watch?v=VhalVF4WYKg

Foto: TheaterArche Jakub Kavin

Author: Mona May

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