Im Multiversum der Eveline Zessar

Es gibt Menschen, die echt was drauf haben und das gleich in mehrfacher ART und Weise. Nicht nur, dass sie exzellent malt, wie ihre „Viechereien aus dem Farbtopf“ beweisen, nein, sie schreibt auch vollmundige Theaterstücke, die ironisch, geistreich und witzig zugleich sind.

Während der Pandemie hat sie kurzerhand das virtuelle s’Kaffeehaus Multikunsti – das sie mit viel Herzenswärme betreibt – ins Leben gerufen. Dort tummeln sich mittlerweile Kunstschaffende aus aller Welt.

Die Rede ist von der 1954 in Bruck an der Mur geborenen Künstlerin Eveline Zessar, die sich als Autodidaktin mehr oder minder, alles selbst beigebracht hat.

Dabei hat sie ihren Weg in die Kunst relativ spät gefunden, sie ist also eine Spätberufene, die es aber in sich hat.

Für mich ist sie vorbildlich, vor allem deswegen, weil sie den Mut und die Courage hat, der Welt zu zeigen, dass es immer möglich ist, seinen Talenten Ausdruck zu verleihen und sich sozial zu engagieren.

Wäre sie nicht ein bisschen zu jung dafür, dann würde ich sie gerne mit der Malerin und Illustratorin Grandma Moses, die als Vorreiterin der naiven Malerei gilt, vergleichen wollen. Aber diese hat erst mit fünfundsiebzig Jahren mit dem Malen begonnen hat, ist hunderundein Jahre alt geworden und hat in diesen Jahren ein beachtliches Werk geschaffen, das sie uns hinterlassen hat.

Wie auch immer, ich bewundere den Mut und die Courage von Eveline Zessar und darum freue ich mich umso mehr, dass ich sie und ihr Werk heute vorstellen darf.

Das Energiebündel, das auch Kunstliebhaberin ist, hat nur eine einzige winzig kleine Macke: sie versucht ihr Können bescheiden, wie sie nun einmal ist, andauernd kleinzureden. Dabei ist alles, was sie anpackt von einer besonderen Aura umgeben, denn es geschieht mit viel Engagement und mit noch mehr Liebe. Das soziale Anliegen von Eveline Zessar gepaart mit ihrer großen Liebe zur Kunst macht ihr Schaffen so außergewöhnlich.

Ach, fast hätte ich etwas vergessen, ihren überbordenden Humor, der nie bissig, sonder immer lustig und höchst liebenswert daherkommt, dabei nimmt sie sich auch gerne selbst auf die Schippe. Sicher, schräg ist er allemal, ihr Humor, aber als Strategie der Lebensbewältigung sehr empfehlenswert. Und vor allem findet er in ihren Kunstwerken seinen lebendigen Ausdruck, der uns zum Schmunzeln oder sogar zum Lachen anregt.

Wenn sie malt, läuft sie zur kreativen Hochform auf, da tobt sie sich dann so richtig aus, wie in ihren urkomischen Tier-Charakteren mit den menschlichen Zügen zu sehen ist.

Wem das jetzt ein klein wenig zu kitschig und zu dick aufgetragen klingt, kann sich heute ja selbst ein Bild von der Künstlerin Eveline Zessar machen und wird mir recht geben müssen.

Sie wird – wie ich sie kenne – rot werden, wenn sie meine Zeilen über sich liest und mich der Lobhudelei bezichtigen. Aber diesen Vorwurf nehme ich ohne jedes Zögern auf meine Kappe, denn wenn Lob und Anerkennung angebracht sind, darf eine Persönlichkeit wie Eveline Zessar sehr gerne auch einmal im Scheinwerferlicht stehen. Und ich hoffe, dass sie jetzt wie ein Einser strahlt und übergebe das Wort an sie.

Das Interview

Hallo Eveline, schön, dass ich dich für unser Online Magazin interviewen darf. Wir haben bereits erfahren, dass du in Bruck an der Mur geboren wurdest, gewährst du uns einen kleinen Einblick in deine Kindheit, wie bist du aufgewachsen?

Ja, sehr gerne. Ich glaube, viel schöner, als mein Bruder und ich aufgewachsen sind, kann man nicht aufwachsen: wir sind in Aflenz-Kurort am Land mit einem riesengroßen Garten mit Katzen und Hunden groß geworden. Und wenn wir Kinder ein Tier mit nach Hause brachten, wurde es auch noch versorgt. Alles „gehörte“ uns Kindern: Der Garten, der Zufahrtsweg, der Park, der Wald, wir durften überall unsere Phantasie ausleben; nur die Mittagspause für die Kurgäste des Ortes war einzuhalten.

Das klingt nach einem wahren Paradies, wie verlief dein weiterer Lebensweg, welche Ausbildungen hast du genossen, warst oder bist du verheiratet, hast du Kinder?

Ich schloß 1973 die Handelsakademie im Bruck ab, heiratete irgendwann, wurde geschieden und arbeitete an der Grazer Universität als Sekretärin. Kinder habe ich keine. Irgendwann machte es bei mir klick, und ich brannte für das Rechtswissenschaftliche Studium, das ich 1999 in Graz, nach dem kleinen Latinum, abschloss.

Und woher kommt deine große Liebe zur Kunst und zum Theater, welche Berührungspunkte gab es da?

Bei uns Zuhause wurde sehr viel Musik gehört, ob Schlagermusik, Operette oder Oper, wir hörten alles gerne. Da lag es nahe irgendwann für einen Opernbesuch nach Graz zu fahren. Das war herrlich und der Beginn einer großen Liebe zur Oper und zum Theater. Und diese Liebe wuchs und wuchs und ist mir bis heute geblieben.

Dann kam die Seidenmalerei in Mode und jeder meinte, Tücher wunderbar bemalen zu müssen, ich natürlich auch. Das waren meine ersten Gehversuche, aber sie versanken in der Vergessenheit.

Wenn ich beschreiben soll, wie ich zur Kunst kam, denke ich eher, die Kunst kam zu mir und zwar ganz unverhofft, in Form eines Freundes, dem Schauspieler und Schriftsteller Siddhartha Tomarkin, der mich fragte, ob ich an einem Theaterprojekt im Rahmen von pro mente teilnehmen möchte. Pro mente ist eine wunderbare Organisation für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Hier nein zu sagen, das ging einfach nicht.

Wir spielten das Stück „10 Schritte aus der Dunkelheit“ (der Depression), von Siddhartha Tomarkin, bei dem auch ich meinen Senf dazugeben durfte.

Die Darsteller_innen waren Menschen, die in einem achtzehnmonatigem Programm von pro mente beschäftigt waren, um nachher leichter einen Job finden zu können. Siddhartha und ich als blutige Anfängerin übernahmen die Hauptrollen, die die anderen Darstellenden sozusagen durch das Stück leiteten. Das war eine Aufregung und eine ebenso wertvolle Erfahrung, wie für mich. Zu sehen was Menschen können, wenn man ihnen was zutraut, war sehr bewegend und hat mich tief berührt.

Dann ruhte das Theater für eine Weile, bis mir der Gedanke kam, dass ich ja eventuell in einer Seniorenvereinigung nach Laiendarstellern fragen könnte, um eine eigenständige Theatergruppe aufzubauen. Die Idee war „Senioren spielen ehrenamtlich für Senioren. Es gelang und bald war ein Theater auf die Beine gestellt.

Ich schrieb ein paar kleine Theaterstücke und auch einige Unterhaltungs-Programme. Ich konnte den Sänger Ferdinand Kickinger gewinnen, der extra dafür aus Eggenburg kam und mit seinem wunderbaren Tenor sang.

Und Uschi Groier führte meistens Regie, bei der ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte.

Wir spielten einige Saisonen in Seniroenverbänden und auch in Heimen, wenn wir Geld bekamen, konnte das sofort – meist noch vor Ort – gespendet werden.

Auch wieder eine unendlich wertvolle Erfahrung: Wir brachten die alten Leutln zum Lachen und wenn wir gingen, wurden wir nicht nur einmal gefragt, ob wir schon sehr bald wiederkämen.

Danke Eveline, und wie und wann fandest du dann zur Malerei?

Der Lockdown kam, das Theater war stillgelegt. Da habe ich mir zuerst einmal zwanzig Kilogramm Bücher gekauft und zur Abwechslung einen Malkasten – thats it. Und da bekanntlich die Übung den Meister macht, habe ich geübt und geübt und irgendwann kamen die ersten Erfolge, anderen gefielen meine Malereien. So durfte ich in den umliegenden Kaffeehäusern meines Viertels meine Bilder zeigen. Dort sind sie mittlerweile sehr gerne gesehen und erfreuen sich einer gewissen Beliebtheit. Und im Rahmen der unglaublich rührigen und engagierten Organisation der „Freien Galerie Graz“, hatte ich ebenfalls schon die Gelegenheit, meine Bilder zu präsentieren.

Schön und erfolgreich war auch die Teilnahme am Lendwirbel, ein Stadtfest in Graz im Bezirk Lend, bei dem es auch einen Kunstflohmarkt gibt. Ich hatte auf meinem Standl ordentlich Zuckerl geladen und diese großzügig an die Passanten verteilt. Ich muss gestehen, dass diese eine gewisse Anziehungskraft ausübten und dadurch viele Lendwirbel-Besucher_innen auf meine gemalten kuriosen Viechereien aufmerksam wurden.

Das führt mich zu meiner nächsten Frage, mit welchen Materialien arbeitest du und wie wählst du deine Motive aus?

Ich probiere die verschiedensten Techniken und Materialien aus, Aquarell, Gouache, Kreide, was immer mir in die Finger kommt wird verwendet und auf seine Tauglichkeit getestet.

Auch bei den Motiven ist es ähnlich, ich sehe zum Beispiel das Foto von einem Tier und schon sehe ich etwas vor meinem inneren Auge, das ich malen muss. Oder es schießt mir aus heiterem Himmel eine Idee ein und ich greife zum Pinsel.

Ich meine langsam meinen Weg gefunden zu haben – stilistich wie künstlerisch. Dennoch bin ich weiter für alles Mögliche offen und probiere mich auch in abstrakter Malerei aus.

Wenn ich male tauche ich in eine andere Welt ein und das macht mich fröhlich und tut mir einfach gut. Kunst ist ja generell ein Glücksfaktor.

So sollen meine Bilder fröhlich sein und fröhlich machen, lustige Tiere eben mit menschlichen Zügen und Gebrechen.

Anmerkung der Redaktion: Gouache ist eine einzigartige Farbe, die sich beim Auftragen wie Wasserfarbe verhält, aber wie Acrylfarbe oder Temperafarbe aussieht. Der Unterschied zur Aquarellfarbe ist die hohe Pigmentierung der Gouache. So wie bei der Acrylfarbe wirkt auch bei der Gouachefarbe der Farbton nach dem Trocknen heller.

Und schon bin ich bei meiner letzten Frage, du hast ja das S’Kaffeehaus Multikunsti eröffnet, was war der Anlass und wann hast du es gegründet?

Ich bin schon lange und gerne Mitglied in diversen Foren. Bei eunem Forum ließ zunehmend die Qualität nach und ich verlor das Interesse daran, aber dann kam der erste Lockdown und mit ihm die Überlegung, was ich anstellen könnte, um diese Zeit sinnvoll zu nutzen. Das Kaffeehaus Multikunsti auf Facebook war geboren.

Eigentlich war es nur für die Dauer des Lockdowns gedacht, es läuft aber mittlerweile schon seit weit mehr als drei Jahren. Und es wird seinem Namen Multikunsti gerecht.

Die Namensgebung beziehungsweise Findung, war auch noch eine lustige Geschichte. Ich unterhielt mich mit dem Kolumnisten Pommes Leibowitz und erzählte ihm von meinem Vorhaben, ein virtuelles Kaffeehaus für Kunst und Kultur zu eröffnen. Er fand die Idee super und nach ein wenig Hin- und Herscherzen meinte er, was hältst du von s’Kaffeehaus Multikunsti?

So war das und inzwischen hat das Kaffeehaus an die zweihundertfünfzig Mitglieder, davon sind etwa zweihundertdreißig aktive Künstler_innen.

Hier haben sich Künstler_innen und Kunstliebende aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien, Brasilien, Frankreich und der Schweiz versammelt. Der rege Austausch macht nicht nur mir, sondern offensichtlich auch den Mitgliedern des Kaffeehaus große Freude.

Gerne würde ich, wenn ich darf, noch einige wenige Künstler_innen nennen, die für alle anderen stehen mögen.

Ja, natürlich, bitte sehr, sehr gerne.

Da wären Brigitte Eichler, Malerin; Claudia Betram, Handarbeitskünstlerin; Gundi Kalander, Handarbeitskünstlerin; Ina Dziggerl, die Grand Dame des Aquarells: Susanne Praunegger, Malerin; Autorin – ROSA, die Kugelfrau; Ilse Dettinger, Malerin; Uta Pfützner, Autorin, die Fantasy, Krimis und für Kinder schreibt.

Weitere Mitglieder sind:

Pommes Leibowitz, Kolumnist u.a in der Philosophica Perennis; Gabriele Simic, eine Künstlerin, die so gut wie alles kann; Simone Stanschuss, Spiegel(glas)künstlerin; Eva Reichl, Krimiautorin; Holger Franken, Holzkünstler; Edwin Haberfellner, Roman- und Krimiautor; Brigitte Gerlich, Malerin; Brigitte Helene Haberzettel, sie kann einfach alles: Fotografieren, Kochen, Backen u.v.m; Bert Lingnau, Schriftsteller.

Infos:

Viechereien aus dem Farbtopf

1.https://www.fischundfleisch.com/trognon-de-pomme/viechereien-aus-dem-farbtopf-82942?fbclid=IwAR2H0XiPHstWh07ws_atxkxCJVN2jEnrVsAy4Oq4bC3lGWHAwYflMNlTt58
2. https://www.fischundfleisch.com/trognon-de-pomme/viechereien-ii-83179?fbclid=IwAR0OSEmIahbhpT9ZHbXUn7vRmc5CXDPLlgKqb_48xFcQSB68-Pj6KVQl_Ic
3. https://www.fischundfleisch.com/trognon-de-pomme/aus-dem-farbentopf-von-rigoletta-82400?fbclid=IwAR3KYTTX6Ni1y_kd0HI3M56CKSQfo4IttDfbnSFDvQqcQvVdZAY_Q9DCK8Q
Facebook: https://www.facebook.com/eveline.riegor.5

YouTube: Ein Theaterstück von Eveline Zessar: Saresto https://www.youtube.com/watch?v=_-zs_sNSexE&t=16s

Author: Mona May

1 thought on “Im Multiversum der Eveline Zessar

  1. Ein wirklich sehr berührendes und einfühlsames Interview zur Persönlichkeit von Eveline Riegor,
    hab viele neue Facetten kennenlernen dürfen.
    Herzlichen Dank hierfür..

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