ein ARTikel von Mona May
Eine ungewöhnliche Künstlerin kann offenbar nur eines: ein ebenso ungewöhnliches und spannendes Projekt ins Leben rufen. Die Rede ist von der am 16.01.1987 in Wien geborenen freischaffenden Performancekünstlerin und Kulturarbeiterin Miriam Strasser. Sie ist nicht nur Vollblutkünstlerin, sondern auch Wissenschaftlerin, die durch ihren wissenschaftlichen Hintergrund in biologischer Anthropologie (BSC) ein sehr spezielles und spannendes Projekt initiiert, entworfen und gemeinsam mit ihrem Team entwickelt hat. Dieses Projekt darf ich unseren Leser*innen heute vorstellen.
Hallo Miriam, schön, dass ich Dich zu Deiner neuesten Arbeit befragen darf, würdest Du uns gleich zu Beginn verraten, wie das Stück heißt und wie es Dir augenblicklich mit dem Entstehungsprozess geht?
Ja, sehr, sehr gerne. Also das Projekt trägt den Titel „ConTaKt: Consciousness in Relation“ und wird am 20. September 2024 in der TheaterArche in Wien Premiere feiern. Das heißt, ich lese, denke, schreibe, kommuniziere und organisiere zurzeit sehr viel.
Jetzt startet die End-Projektphase so richtig an, wir nähern uns dem finalen Probenprozess. Eigentlich arbeite ich bereits seit letztem Sommer an dem Projekt und langsam schlägt es Wurzeln und beginnt zu wachsen. Diese Phase kann ich immer sehr genießen. Die allererste Visionsphase ist auch immer sehr schön – wenn der Geist in den höchsten Sphären schwebt und voller Inspiration ein neues Projekt erträumt.
Die Phase, in der es dann darum geht, das Projekt auf den Boden zu holen, empfinde ich meist als sehr anstrengend. Sobald es aber beginnt, Wurzeln zu schlagen und zu wachsen, fühlt es sich wieder richtig gut an und ich kann dann eine Zeit lang zufrieden und stolz sein. Dann kommen aber noch einige anstrengende Phasen, bis zur Geburt und der großen Erleichterung und Freude, die damit einhergeht. Im Moment bin ich quasi hochschwanger mit dem Projekt, denn in etwas mehr als zwei Monaten ist ja schon der Geburtstermin!
Und worum wird es konkret in Deinem neuesten Stück gehen?
„ConTaKt: Consciousness in Relation“ ist ein internationales Forschungsprojekt zur Erarbeitung einer trans- und interdisziplinären Bühnenperformance, die sich mit der Neurobiologie des Bewusstseins auseinandersetzt und dabei Kunst und Wissenschaft miteinander verbindet. Das Projekt befasst sich mit den neurobiologischen Mechanismen der verschiedenen Bewusstseinszustände, sowie mit den Beziehungen und Wechselwirkungen, die zwischen ihnen bestehen.
Gemeinsam mit meinem Team wollen wir die szenischen Sprachen von experimentellem, explorativen gestischem Theater, Butoh-Tanz, Clownerie, Musik und audiovisuellen Medien miteinander verbinden, um die Prozesse des Bewusstseins in der Bewegung zu untersuchen und mit einer wissenschaftlich-philosophischen Erzählung zu verknüpfen.
Unser Ziel ist es zu erforschen und in der Bewegung zu entschlüsseln, was während natürlicher veränderter Bewusstseinszuständen, wie Schlaf, luzidem Traum oder rituellem Tanz, im Gehirn passiert, sowie der Öffentlichkeit die neuesten Entdeckungen der Wissenschaft durch körperliche, szenische und audiovisuelle Bilder näherzubringen.
Wir interessieren uns für natürliche veränderte Bewusstseinszustände, die wir sichtbar machen und daraus künstlerische Projektionen entwickeln wollen, die zu einer visuellen Reise durch das menschliche Bewusstsein einladen. Der Bogen des dramaturgischen Konzepts basiert auf den verschiedensten Bewusstseinszuständen, wie Schlaf, Traum, luzider Traum, Wachheit et cetera, wobei die Anzahl der natürlichen Bewusstseinszustände interessanterweise je nach Sichtweise und Kultur stark variiert. In der Literatur werden drei bis fünfundzwanzig Zustände beschrieben, die von der Freudschen Psychologie bis zum indischen Hindu-Dharma reichen.
Wir untersuchen aber auch verschiedene Ebenen eines veränderten Bewusstseins und wollen daraus unser eigenes künstlerisch- wissenschaftliches „Alphabet“ entwickeln. Darüber hinaus erforschen wir neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz und beziehen sie als „Meta-Bewusstsein“ mit ein. Szenisch bedeutet das, dass die Performance mit einer abstrakten, körperlichen Darstellung von „Bewusstsein“ beginnt und sich im Laufe der Aufführung zu einem „Happening“ mit Publikumsbeteiligung entwickelt. Verschiedene Bewusstseinszustände und Kontaktmöglichkeiten werden durchlaufen, das Publikum wird immer aktiver angesprochen und in das Bühnengeschehen miteinbezogen.
Begleitet wird das Bühne-Geschehen von einer wissenschaftlich-philosophischen Erzählung, die sich wie ein roter Faden durch die Performance zieht und von visuellen Projektionen, die künstlerisch aufbereitet sind und auf neurowissenschaftlichen Daten basieren.
Das klingt nach sehr komplexen und vielschichtigen Inhalten, welche Mittel verwendet ihr, um diese Komplexität zu einem einzigen Werk zusammenzuführen beziehungsweise, wie lässt sich diese Vielschichtigkeit umsetzen?
Na ja, dieses Projekt will dort ansetzen, wo die Sprache an ihre Grenzen stößt. Tief in unseren Körpern liegen Erinnerungen, Traumata, Weisheiten, Träume und magische Empfindungen, die schwer zu erklären und fast unmöglich zu beschreiben sind. Wir wollen diese Quelle des Bewusstseins, die uns alle verbindet und die wahrscheinlich der Ursprung von Spiritualität und Religionen ist, erforschen und uns ihr aus zwei verschiedenen Richtungen nähern: einerseits über einen sinnlichen, physischen Zugang durch den Körper und das Eintauchen in Bewusstseinszustände und andererseits über einen wissenschaftlichen, philosophischen, beschreibenden und beobachtenden Zugang.
So wollen wir mit unseren Körpern ausdrücken, was nicht in Worte gefasst werden kann – also das, was gelebt und gefühlt werden muss. Und wir laden das Publikum ein, diese Erfahrungen mit uns zu teilen, zu leben und zu fühlen. Gleichzeitig wollen wir mit einer eingespielten audiovisuellen Datei das ausdrücken, was in Worte gefasst werden kann.
Wenn ich es richtig verstanden habe, dann war Euer Projekt mit sehr aufwendigen und intensiven Recherchen verbunden, kannst Du uns darüber etwas erzählen?
Oh ja, das ist richtig. Für die Researchphase habe ich „The Hidden Spring – A Journey to the Source of Consciousness“ von Mark Solms und zusätzlich jede Menge wissenschaftliche Papers über das Thema „Bewusstseinszustände“ gelesen. Zum Glück studiert eine meiner Schwestern noch an der Uni Wien und so habe ich durch sie Zugang zu den universitären Datenbanken und Publikationen. Das ist unglaublich spannend und ich habe das Gefühl, ich könnte mindestens zehn Stücke aus diesem Material entwickeln, wobei die Selbsterfahrung durch die praktische Umsetzung noch viel spannender ist.
Ich möchte mit diesem Projekt zeigen, dass es wissenschaftliche Erklärungen gibt und die Neurowissenschaften messbare Vorgänge im Gehirn gefunden haben, die sich nachweislich mit diesen spannenden Zuständen verbinden lassen.
Im Zuge unserer Recherchen erheben wir auch selbst Daten, dazu sind wir eine Kooperation mit der Universität Miguel Hernandez de Elche in Spanien eingegangen. Wir untersuchen dabei, was in unseren Gehirnen passiert, während wir zum Beispiel Butoh tanzen. Ich lerne dabei so viel Interessantes und freue mich sehr darauf, das in das Narrativ des Stückes fließen zu lassen.
Eines meiner Lieblingszitate im Stück stammt von Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger: „The total number of minds in the universe is one. In fact, consciousness is a singularity phasing within all beings.“ Sinngemäß wurde es so übersetzt: „Bewusstsein gibt es seiner Natur nach nur in der Einzahl. Ich möchte sagen: die Gesamtzahl aller Bewusstheiten ist immer bloß eins.“ Dieser Gedanke, dass alle lebenden Wesen sich ein Bewusstsein teilen und wir alle miteinander verbunden sind, fühlt sich für mich sehr stimmig an. Denn genau das, habe auch ich oft erlebt, sei es in meinen Träumen oder in anderen Situationen, während des Wachzustandes. Das alles ist schwer in Worte zu fassen. Ein Beispiel dafür ist, wenn ich auf der Bühne oder während einer Probe mit Kolleg*innen improvisiere, dann passiert oft eine unglaubliche Synchronisation, bei der sich plötzlich alle in einer Art gleichen „Erlebnis- und Bilderwelt“ befinden. Die Atmung und die Bewegungen synchronisieren sich dann ohne jegliche Absprache – für mich ist das immer wieder magisch, egal wie oft ich es schon erlebt habe.
Gibt es abschließend noch etwas, das Dir in Bezug auf Euer Projekt am Herzen liegt und woran Du uns teilhaben lassen möchtest?
Ja, mir wäre Folgendes noch wichtig: Das Ziel von „ConTaKt: Consciousness in Relation“ ist, einerseits abstrakte und hochemotionale Bühnenereignisse zusammenzuführen und sie greifbar machen, andererseits verborgene innere Zustände rational verständlich und sichtbar zu machen und eine Identifizierbarkeit zu schaffen, die es erlaubt, Gefühle und traumatische Erfahrungen zuzuordnen und Wege zur Selbsthilfe aufzuzeigen.
Letztlich ist das Projekt eine Einladung zu mehr Sensibilität und Achtsamkeit. Durch eine behutsame Kontaktaufnahme zum Ppublikum soll ein gemeinsames Happening entstehen, bei dem die Zuseher*innen mit den Performerinnen auf der Bühne ein interaktives Improvisationsspiel spielen. Denn im Spiel sind wir authentisch, präsent und voller Lebensfreude – das ist der vielleicht „exzellenteste“ Bewusstseinszustand mit den meisten synaptischen Vorgängen im Gehirn. Es verhält sich nämlich im wahrsten Sinne des Wortes so, dass in unserem Gehirn eine Vielzahl neuer synaptischer Netzwerke wachsen, wenn wir spielen.
Danke, liebe Miriam Strasser, für das Gespräch. Ich wünsche Dir und Euch viel Erfolg und Freude und vor allem ein begeistertes Publikum.
Das Team:
Miriam Strasser
Die Wienerin und Wahlspanierin arbeitet seit 2014 abwechselnd in Spanien und Österreich. Sie studierte physisches Theater an der Internationalen Theaterschule „Nouveau Colombier“ in Madrid. Außerdem studierte sie Clownerie an der Schule für Szenische Künste „La Estupenda“ und Butoh-Tanz an der unabhängigen Tanzschule „Espacio en Blanco“. In ihrer künstlerischen Arbeit erforscht sie die Überschneidungen zwischen verschiedenen darstellenden Künsten mit einer Vorliebe für interdisziplinäre, hybride Performance-Formate.
Sie war Mitglied der internationalen Kompanien „Cia. MimoX Teatro“ (physisches Theater), „MiseroProspero Project“ (physisches Theater) und „The Physical Poets“ (Butoh-Tanz) und arbeitete als Performerin mit dem Verein „ArtKolè“ (Theater für Inklusion) zusammen. In Österreich arbeitete sie u.a. mit Will Lopes („Hybrid-Butoh“) und dem feministischen Theaterkollektiv „SAFT“. Mit einer besonderen Vorliebe für das Groteske erforscht sie seit 2019 die skurrile Butoh-Clownsfigur „Homo Kemoni“. Mit ihrem „Homo Kemoni Project“ kreiert sie interdisziplinäre Performances mit Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Disziplinen und entwickelt derzeit das Projekt „ConTaKt“. Neben ihrer szenischen Arbeit betreut sie regelmäßig Projekte als Outside-Eye-Regisseurin und arbeitet als Kunstvermittlerin und Organisatorin im Kulturbereich.
Sie ist aktives Mitglied des „C³-Kollektivs“ und damit im Bereich des zeitgenössischen Zirkus tätig, sowie Mitbegründerin des „International Clown Lab Vienna“, dessen Vorsitz sie bis 2022 innehatte. In den Jahren 2022 und 2023 war sie als Regieassistentin und Choreografin für physisch-theatrale Aspekte der Ensemblearbeit bei den Projekten „100 Jahre Frauenleben“ und „Am Beispiel der Kohlrabi“ am Landestheater Niederösterreich engagiert. Mit ihrer langjährigen Unterrichtserfahrung und einer umfangreichen Ausbildung ist sie seit 2023 Dozentin an der „Open Acting Academy Vienna“, an der sie Clownerie und Improvisationstheater unterrichtet.
Lucía Callén (Lucia Sombras)
Die Künstlerin hat einen Doktor in Neurowissenschaften, sie ist Tänzerin und Performerin und wurde am 11.03.1984 in Madrid geboren. Seit 2015 erforscht sie Butoh-Tanz mit Butoh-Meistern wie Mushimaru Fujieda, Atsushi Takenouchi, Yumiko Yoshioka, Orland Verdú oder Jonathan Martineau. Sie trat und tritt bei internationalen Festivals in Europa und Asien auf. Sie studierte Physisches Theater am „Nouveau Colombier“ und an der „Internationalen Theaterschule von Arturo Bernal“. Sie war Teil der internationalen Gruppen: Voces del Insomnio, Teatro Crudo, Oracles Theater und The Physical Poets. Kürzlich hat sie das Kollektiv „Cadáver Exquisito“ mit anderen Butoh-Tänzern gegründet, um Methoden des Kunstschaffens im Butoh-Tanz mit einem transdisziplinären Ansatz zu verbinden. Sie entwickelt ihre künstlerischen Projekte als unabhängige Künstlerin und arbeitet mit anderen multidisziplinären Künstlern unter dem Namen „La Sombras & Company“ zusammen. Dabei setzt sie Butoh-Tanz als Werkzeug zur Vernetzung der darstellenden Künste, sowie als Instrument für soziale Transformation ein. Dabei spielt die künstlerische Gemeinschaft eine wesentliche Rolle, diese bezieht sie in den Schaffens- und Ausbildungsprozess mit ein. Und sie verbindet Butoh-Tanz mit anderen Disziplinen wie Musik, Bunraku-Puppenspiel, Poesie, audiovisueller, digitaler, virtueller und Klangkunst sowie Land Art.
Scharmien Zandi
Geboren in Wien mit kurdischen Wurzeln, ist freischaffende Künstlerin in den Bereichen Musik, darstellende Künste und Multimedia. Ihre Arbeit umfasst Komposition, Performance-Kunst, Regie, Schauspiel, Musik, Gesang und Text. Mit ihren „Opernperformances“ schafft sie experimentelles Musiktheater in einer neuen Form.
Zandi erhielt 2020 den Österreichischen Musiktheaterpreis für ihre Show AMOUR FOU und tourt damit in China, Österreich und den USA. Sie ist Sängerin und Musikerin in der Trip-Rock-Band CADÛ und wurde 2022 mit dem BMKÖS Startstipendium für Musik und darstellende Kunst ausgezeichnet. Ihre Werke und Kompositionen wurden im Musiktheater an der Wien, im Schauspielhaus Wien, im Landestheater Niederösterreich und im Tiroler Landestheater sowie in China im Rahmen des Loreli Showcase präsentiert.
Mahdi Bakhshi
Der iranische Digitalkünstler lebt in Wien und studiert derzeit digitale Kunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Er erstellt die digitalen Animationen für „ConTaKt“.
Seine Interessengebiete sind die generative Kunst und Echtzeit-Generierung von Visuals für interaktive Performances. Als visueller und technischer Künstler, arbeitete er bereits an zahlreichen interaktiven Theaterprojekten, bei denen er die Touchdesigner Software verwendet hat, um die Interaktion zwischen den Schauspielern*innen und den visuellen Elementen zu erzeugen. Darüber hinaus hat er eine Pipeline entwickelt, die 3D-Rohanimation mit künstlicher Intelligenz kombiniert, um erzählerische Animationen zu kreieren.
https://www.instagram.com/glitchator
Will Lopes
Der brasilianische Butoh-Tänzer, Schauspieler, Performer und Theaterregisseur wird bei den Endproben von „ConTaKt“ als Regisseur einen Blick von außen auf unser Projekt werfen.
Er hat einen Bachelor in Theaterwissenschaften von der Universität von Brasilia im Jahr 2003; er studierte Theater, Tanz, Tanztheater, dramatische Körpermimik, physische Komik, Butoh, Zirkus, Kampfsport und vertikalen Tanz und hat sich als Körpertrainer für Darsteller*innen, auf die brasilianische Technik Integral Bamboo spezialisiert. Seinen Masterabschluss in Kommunikation und Semiotik machte er 2016 an der Päpstlichen Katholischen Universität von São Paulo. Seit Juli 2018 lebt er in Wien, wo er Kurse, Workshops und Performances entwickelt und mit der Neuen Oper Wien, dem Lalish Theaterlabor, der Photon Gallery, Aerial Silk Vienna, Phoenix Circus Arts Center und anderen zusammenarbeitet.
Links zum Projekt:
Veranstaltung in der Theater Arche:
https://www.theaterarche.at/events/contakt-consciousness-in-relation-kooperation/
Projekt-Homepage:
https://www.soulmove.org/about-2