ein ARTikel von Mona May
Nein, er hat seine Seele nicht dem Teufel verkauft, sondern sich mit Haut und Haar, mit Leib und Seele, also mit allem, was er ist und was ihn ausmacht, dem Theater und der hohen Kunst des Schauspiels verschrieben.
Die Rede ist von Philipp Kaplan – seines Zeichens Schauspieler, Regisseur und Pygmalion-Theaterleiter. Theater und Schauspiel sind für ihn mehr als eine Haltung oder eine Lebenseinstellung, sie sind für ihn unverzichtbarer und elementarster Lebensausdruck seines Seins. Vielleicht ist es genau das, was er uns im Interview-Teil sagen will, wenn er uns wissen lässt, was ihn unter anderem so an der darstellenden Kunst fasziniert: „KUNST KANN REALER SEIN, ALS DAS LEBEN SELBST. Mit diesem Anspruch, die Realität in unserer Tätigkeit an Wahrhaftigkeit zu übertreffen, widmen wir uns unserem theatralischen Schaffen.“
Ich möchte seiner Aussage gerne hinzufügen: Und gerade deswegen, weil die Kunst einem Ideal nachstrebt, wird sie uns zum Spiegel, in den wir gefahrlos blicken und uns und unser Selbst erschauen können. Die Kunst ist ein Spiegel, der uns erlaubt den grauenhaften Ereignissen, die sich in der Welt abspielen, in die Augen zu sehen, ohne dass wir vor Schreck erstarren müssen. Sie hilft uns aber auch, die eigenen schmerzhaften Zustände, die mitunter unsere innere Wirklichkeit bilden, ein Stück weit aus einer Außenperspektive betrachten zu können und das kann sehr befreiend und heilsam sein
Aber zurück zu Philipp Kaplan: Selten ist mir eine Künstlerpersönlichkeit begegnet, bei der das Handwerkszeug dermaßen präzisse auf den Punkt gebracht wird, wie bei ihm, da sitzt jede Geste und bekommt jedes Wort bis ins letzte Detail Leben eingehaucht.
Sein Spiel ist sehr körperlich, ist in einer sinnlichen Art und Weise von einer Leiblichkeit, die es vermag uns in seine Darstellung und in das Dargebotene mithineinzuziehen. Wir geraten gleichsam in einen magischen Sog und ertappen uns bald dabei, dass wir die Luft anhalten, wenn er sie anhält und wenn er, seiner Rolle gemäß, zu Schwitzen und zu Stottern beginnt, fangen auch wir innerlich damit an. Ebenso ergeht es uns, wenn er auf der Bühne lächelt oder wie ein kleines Kind vor Freude zu springen oder als Gregor Samsa zu beben und zu zappeln anfängt.
Seiner künstlerischen Vielfalt und seiner Ausdrucksstärke sind kein Ende geboten und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, einen Doyen der Verwandlungskunst vor mir zu haben. Es ist als würde er in die Haut der Charaktere schlüpfen, die er verkörpert. In „Die Verwandlung“ von Kafka ist er Gregor Samsa, Erzähler, Mutter, Vater, Schwester und Prokurist zugleich – eine beachtliche Leistung, die einen enormen Nuancenreichtum und das Vermögen, gekonnt zwischen den einzelnen Figuren zu switchen und zu differenzieren, voraussetzt.
Egal ob in seinem Solo „Ein Bericht für eine Akademie“, ebenfalls von Franz Kafka oder in dem Stück „Die Verwandlung“, oder auch in dem Zweipersonenstück „Begegnung mit Seltsam“ des Autors Peter Bielesz, das er mit seinem Kollegen Peter Austin-Brentnall zum Besten gibt, er verleibt sich den zu interpretierenden Stoff in einer Art Introjektion ein, nur um ihn dann als Projektion auf die Leinwand des Lebens zu werfen und dieses Leben heißt für ihn THEATER.
Alle drei Stücke entstanden übrigens unter der Regie von Geirun Tino. Aus Platzgründen kann ich nur diese drei Stücke aus dem reichhaltigen Programm des Pygmalion-Theaters erwähnen. Die nächste Gelegenheit “die Verwandlung” zu sehen, bietet sich schon am 04.09.2024. “Begegnung mit Seltsam” können Sie am 07.09.2024 und “Ein Bericht für eine Akademie” am 09.09.2024 genießen. Die Stücke beginnen jeweils um 19:30. Alle Infos über das Programm des Hauses finden Sie hier. www.pygmalion-theater.at.
Das Pygmalion Theater mit der anheimelnden, fast intimen Atmosphäre ist ein kleines Haus voller Charme, in dem großes Welttheater dargeboten wird. Nicht zuletzt aufgrund seiner Lage mitten in der Stadt, sondern vor allem wegen seiner beiden liebenswerten, höchst engagierten Hauptakteure – einerseits Philipp Kaplan und andererseits Begründer und Regisseur Geirun Tino – und dem bewegenden und fesselnden Programm des Hauses, folgt ihm ein treues Stammpublikum.
Doch, wie viele andere Theater der Off Szene, ist auch das Pygmalion Theater während und nach der Pandemie durch harte Zeiten gegangen, doch egal wie karg und düster es war, Philipp Kaplan spielte selbst vor wenigen Menschen, immer mit der gleichen Hingabe und Leidenschaft.
So wundert es uns auch nicht, dass er im Namen der Kunst bereit war und ist vieles zu opfern und wie ein Löwe um den Fortbestand des Hauses kämpfte. Und sein Einsatz hat sich gelohnt, das Pygmalion Theater hat sich wie der Phönix aus der Asche erhoben, sodass jetzt eine aussichtsreiche Zukunft vor ihm und seinem angestammten Team liegt.
In dieser wahrlich herausfordernden Zeit, hat kein unnötiges Gejammere jemals seinen Mund verlassen oder habe ich ihn über die böse, ach, so ungerechte Welt lamentieren hören. Ich habe höchsten Respekt vor diesem außergewöhnlichen Künstler, der sein Menschsein in den Dienst der Kunst stellt. Und dabei nicht müde wird neben seiner eigenen Karriere, den Nachwuchs und andere Künstler*innen zu fördern umd zu unterstützen.
Er wird erröten, denn in seiner Bescheidenheit wird er es nicht mögen, wenn ich in so hohen Tönen über ihn spreche. Es soll weder Erwartungsdruck aufgebaut noch ein Kult um den Künstler herum geschaffen werden, wobei es ja zugegebenermaßen schon sehr nett wäre, wenn Sie, liebe geschätzte Leser*innen, ihm ein wenig huldigen und ihn ein bisschen hofieren würden. Verdient hätte er es. Und gönnen würde ich es ihm auch. Aber die größte Freude können Sie dem Künstler bereiten, wenn Sie einfach eine seiner nächsten Vorstellungen im Pygmalion-Theater besuchen. Sie werden es nicht bereuen, das garantiere ich Ihnen.
Und nun bitte ich Philipp Kaplan vor den Vorhang zum Interview.
Das Interview
Hallo, lieber Philipp, ich freue mich sehr, dass ich Dich heute für unser Online Magazin interviewen darf. Und hier kommt auch schon meine erste Frage: Wann und wo wurdest Du geboren?
Zuerst einmal möchte ich mich sehr herzlich bedanken, dass ihr mich zu diesem Interview eingeladen habt. Ich wurde am 2. Mai 1978 in St. Pölten / NÖ geboren.
Wer sind und wie waren Deine Eltern, bist Du mit Geschwistern aufgewachsen?
Ja, ich wuchs glücklich und behütet mit meiner Schwester Simone unter der liebevollen Obhut meiner Eltern, Christa und Karl-Heinz Kaplan, in St. Pölten auf.
Gibt oder gab es in Deinem näheren familiären Umfeld auch noch andere Künstler_innen?
Nein, ich bin, soweit ich weiß, der einzige Künstler.
Wann und wie hast Du bemerkt, dass es Dich zur Kunst zieht, speziell zur darstellenden Kunst und zum Schauspiel?
Das war reiner Zufall. Eine Bekannte gab mir den Hinweis, denn mein abgeschlossenes Studium der Handelswissenschaften an der WU Wien hinterließ mich ohne jegliche Erfüllung und so kam es, dass ich mich an der Schauspielschule Pygmalion für die Ausbildung zur Theater-Regie bewarb.
Zu der sehr umfassenden Ausbildung gehörte auch eine Schauspielausbildung, die in Form eines Intensiv-Jahres zu absolvieren war. Diese hohe Kunst des Schauspiels, stellte eine Disziplin dar, die mich vollends in ihren Bann zog und mich seitdem nicht mehr loslässt.
Wie würdest Du das, was Du tust, einer anderen Person, die noch nie etwas von Dir und „Deiner Kunst“ gehört oder gesehen hat, erklären beziehungsweise vermitteln?
Ich begreife mich als Vollblutschauspieler. Das bedeutet, dass ich keine Gelegenheit auslasse, mich auf eine kommende Vorstellung vorzubereiten. Den Text zu verinnerlichen. Meinen Charakter und dessen schauspielerische Situationen bis ins letzte Atom zu durchdringen, zu verstehen, zu durchschauen und zu beherrschen und jedem Wort die zwingende Notwendigkeit seiner Existenz erspürt und durchgedacht zu haben und situationsbezogen in einem geistig-emotionalen Futteral zu beheimaten.
Erzähle uns bitte etwas über den Künstler Philipp Kaplan, wer ist er, warum tut er, was er tut? Welche Stücke spielst Du, wie erarbeitest Du Dir eine Rolle? Mich interessiert auch Dein Zugang zu Inhalten und welche Themen in Deinem Kunstschaffen relevant sind oder ob es so etwas wie ein Leitmotiv gibt?
Sehr viele Fragen auf einmal! Aber ich werde versuchen sie zu beantworten. Meine anfänglich „touristische“, beiläufig-ambulierende Befassung mit Theater hat sich zu einer nahezu professionell-obsessiven Intensiv-Beschäftigung entwickelt. Dabei ist es mir eine besondere Freude, mit dem Gründer des Pygmalion Theaters, dem Regisseur, meinem Kompagnon und Freund Geirun Tino zusammenzuarbeiten, welcher mir seine Leidenschaft insbesondere für die Texte Franz Kafkas übertragen hat. Eine literarische Welt, die bis zur Jahrtausendwende theatralisch nahezu unerschlossen war, durch ihn wurde sie dem Theater zugänglich gemacht. Das alles geschieht unter größter Einbehaltung des feinsinnigen Humors Kafkas und vor dem Hintergrund seiner existenziellen Problem-Plattformen: Gesellschaft und Familie.
Die Figuren Kafkas, zum Beispiel Gregor Samsa (Die Verwandlung), Josef K. (Der Prozess), K. der Landvermesser (Das Schloss), Rotpeter (Ein Bericht für eine Akademie) et cetera, stoßen in einer beklemmend-zeitlosen Generalisierbarkeit – es kann jeden Menschen treffen – auf übermächtige Hindernisse, eingebettet in eine sich zunehmend entgegenstellende, bedrohlicher werdende Umgebung. Die abstrakte Beklemmung findet bei Kafka zumeist ihre konkrete Ausformung in klar sich zuspitzenden Situationen mit beinahe schockierenden Lösungen.
Dieser literarischen Extremstellung in einer handwerklich konzisen wie tiefschürfenden Sprache, versuche ich mit schauspielerischen Mitteln so nahe wie möglich zu kommen: die inhaltliche Intensität mittels durchdachter Sprache zu vermitteln, gedanklich wie emotional.
Welche Ausbildungen hast Du genossen? Gibt es Lehrer*innen, die besonders wichtig für Dich waren?
Wie bereits eingangs erwähnt, habe ich zwei Ausbildungen, eine zum Mag.rer.soc.oec. der Handelswissenschaften an der WU Wien und die Ausbildung zum Displomschauspieler und Diplomregisseur an der Schauspielschule Pygmalion ebenfalls in Wien.
In Bezug auf Lehrerpersönlichkeiten kann ich nur sagen: Ich verdanke alles meiner Schauspiellehrerin Camelia Tino, die mir mit ihrem schier endlosen theatralischen Fachwissen und ihrer konstruktiven Analytik sowie Diagnostik zu dem handwerklichen Fundament verholfen hat, über das ich heute verfügen darf.
Des Weiteren meinem Regisseur Geirun Tino, der mit seinem sehr weiten, ausgeprägten Verständnis für theatralische Konflikte, mit schauspielerischem Detailwissen in Wort und Geste und mit einem besonderen Scharfsinn für die kurzweilig-humorvolle Auflösung von literarisch schwerwiegenden Situationen ausgestattet ist. Er hat mir das wirkungsmächtigste Element meines Handwerkszeuges vermittelt: nämlich, dass die schauspielerische REAKTION, der größte künstlerische Verbündete eines Schauspielers ist. Ihm habe ich mein schauspielerisches Können auf der Bühne zu verdanken.
Das Pygmalion Theater nimmt ja einen wesentlichen, wenn nicht sogar den wesentlichsten Platz in Deinem Leben ein, magst Du uns etwas über seine Geschichte und Gründung erzählen?
Das Pygmalion Theater wurde 1995 von Geirun Tino gegründet und ist ein Laboratorium moderner Theaterideen, in welchem auf der Grundlage fundierter Kenntnisse des tradierten Theaters des Abendlandes neue Wege gesucht werden. Programmatisch umfasst das Repertoire „Meilenstein-Werke“ der Literatur und Dramaturgie, mit der Absicht, das Können erfahrener Profis unseres Ensembles aus Theaterregie und Schauspiel mit jenem junger Schauspieler*innen, sowie moderne persönliche Weltanschauungen mit den ewigen menschlichen Problemen in Dialog zu bringen.
Zahlreiche, bis dato der Bühne noch nicht zugänglich gemachte literarische Stoffe, haben am Pygmalion Theater ihre Bühnenumsetzung erfahren, darunter Kafka, Zweig, Roth, Dostojewski, Freud und weitere.
Unser Programm „Opera Prima“ setzt sich aktiv für Nachwuchskünstler*innen ein, indem wir eine Plattform anbieten, auf der diese Kunstschaffenden sich erstmals einer größeren Öffentlichkeit präsentieren können.
Dadurch, dass die Bühne eine Black Box ist, werden scharf konturierte Darstellungen ermöglicht. Wir halten bei unseren Produktionen das Bühnenbild stets minimalistisch und reduktionalistisch. Dabei ist die Beschränkung auf die Essenz, also auf den Schauspieler oder die Schauspielerin, der Grundgedanke.
Die Namensgebung des Theaters geht auf die Figur des Künstlers Pygmalion von Zypern aus der grieschischen Antike zurück. Der Inhalt dieses mythologischen Stoffes wurde in unserer heutigen Zeit in vielfältiger Weise be- und überarbeitet und in sie transportiert.
Für uns ist die Kernaussage: KUNST KANN REALER SEIN, ALS DAS LEBEN SELBST. Mit diesem Anspruch, die Realität in unserer Tätigkeit an Wahrhaftigkeit zu übertreffen, widmen wir uns unserem theatralischen Schaffen.
Ist Dein Kunstschaffen ein Instrument, um der Welt Deine Ansichten mitzuteilen oder … ?
Mein Hauptanliegen ist, meine Begeisterung für Theater zu kommunizieren, Menschen für dieses Medium derart einzunehmen, wie ich selbst nicht das Vergnügen hatte in meiner Adoleszenz zu erfahren.
Das Theater bietet die Möglichkeit und hat die Verpflichtung, alle Sinne des Publikums zu erfassen, es in situativen, konfliktuellen Problemstellungen geistig zu berühren. Keine Kunstform vereint all diese Stränge so gelungen wie das Sprech-Theater; gesteigert noch mit seinen Erweiterungen durch die Musik – man denke an Brecht/Weills Dreigroschenoper.
Besonders am Herzen liegen mir Aufführungen für Schüler*innen, das ist ein Rahmen, der die Möglichkeit bietet, früh die hierzulande stark unterrepräsentierte Leidenschaft für Theater zu wecken. Kinder und Jugendliche stellen die ehrlichste und ungekünsteltste Kritikerschaft dar, Langeweile, Spannungsgeladenheit und dergleichen finden unmittelbaren Niederschlag in ihren Reaktionen als Publikum.
Gehören für Dich soziales Engagement und/oder gesellschaftspolitische Themen und Kunst zusammen?
Soziales Engagement: UNBEDINGT. Kunst muss für jeden Menschen begreifbar und erlebbar gemacht werden. Im Sinn und Verständnis für Kunst liegt der Schlüssel zum geistig-emotionalen Wachstum und zu einer verbesserten, aufgeklärteren, friedfertigeren und gerechteren Gesellschaft.
Gesellschaftspolitische Themen: UNBEDINGT. Doch lehne ich eine theatralische Bearbeitung TAGESpolitischer Themen sowie religiöser Themen kategorisch ab. Tagespolitik ist morgen passé, ergo hat die Thematik auf lange Sicht keinen Bestand. Und Religion ist Privatsache.
Apropos Privatsache: Was bedeuten Dir die Begriffe Familie und Heimat?
Familie, das ist die Keimzelle und somit das Fundament einer Gesellschaft. Heimat ist für mich dort, wo sich der Lieblingsmensch befindet beziehungsweise wo sich die Lieblingsmenschen befinden.
Und hier kommt schon meine letzte Frage: Was möchtest Du noch erreichen, gibt es konkrete Pläne für die Zukunft, auch über deine Hoffnungen und Ambitionen möchte ich gerne etwas erfahren?
Ich möchte die hohe Qualität der Arbeit des Pygmalion Theaters stets bewahren, wenn nicht noch verbessern. Unser Haus soll weiterhin die Plattform für Nachwuchskünstler*innen sein und sein Kooperations-Geflecht mit nicht-deutschsprachigen Theatermacher*innen in Österreich und international weiter vertiefen. Weiters werde ich alles daran setzen, den Bekanntheits-, Wirkungs- und Respektabilitäts-Grad des Hauses auszubauen.
Danke Philipp für dieses Interview, ich wünsche Dir bei all Deinen Bestrebungen und für alle Vorhaben viel Erfolg und alles Gute für Deinen weiteren Lebensweg.
Nähere Infos:
https://www.facebook.com/Pygmaliontheater
https://www.facebook.com/philipp.kaplan
https://www.instagram.com/pygmalion_theater_wien
YouTube Showreel:
https://www.youtube.com/watch?v=EqwXryAYQjY&t=87s