Arno Uhl: Vom zirzensischen Dada-Sein

ein Beitrag von Mona May

Anfang des Jahres hatte ich das große Vergnügen unseren geschätzten Leserinnen und Lesern das surreale Zirkustheater DADA ZIRKUS vorstellen zu dürfen.

Heute habe ich Arno Uhl, der Initiator, Begründer und Mitglied des DADA ZIRKUS ist, zum Interview gebeten. Der 1983 in Wien geborene Künstler gewährt uns nicht nur Einblicke in seinen Alltag, sondern lässt uns auch an seinen Ansichten und Erkenntnisen über die Gesellschaft und die Welt offen teilhaben.

Dabei nimmt er sich, jedoch ohne selbstgerecht zu sein, kein Blatt vor den Mund und spricht unverblümt so manch kritischen kulturpolitischen Sachverhalt aus.

Übrigens: Vom 10.03. – 15.03.2023 gastiert DADA.ZIRKUS mit der Produktion GENESIS in Wien im TheaterArche, Münzwardeingasse 2A, 1060 Wien. Links für alle weiteren Termine und Spielorte finden Sie am Ende dieses Interviews.

Ich wünsche allen Leser_innen viel Freude beim Eintauchen in dieses spannende Interview.

Das Interview

Lieber Arno, zuerst einmal würden wir dich und deinen biografischen Background gerne ein wenig näher kennenlernen: Wie bist du aufgewachsen, wer sind und wie waren deine Eltern, hast du Geschwister?

Also meine Eltern sind beide Psycholog*innen. Sie haben sich während des Studiums kennengelernt. Meine Mutter arbeitet als Psychoanalytikerin, mein Vater als Suchtforscher. Ich bin in einem linksliberalen und bildungsbürgerlichen Umfeld aufgewachsen, das sehr unterstützend und antiautoritär war.

Von drei Geschwistern bin ich der Älteste, wobei mein Bruder sieben Jahre und meine Schwester zehn Jahre jünger ist. So gesehen bin ich einige Zeit quasi wie ein Einzelkind aufgewachsen und dann war ich eben in der Rolle des älteren Bruders.

Wie hast du dann zur Kunst, speziell zur artistischen Körperkunst beziehungsweise zur darstellenden Kunst gefunden?

Na ja, dem Zirkus bin ich langsam, Schritt für Schritt und durch viele einzelne Erlebnisse verfallen.

Es war ein sehr langer Weg, bis ich mich 2013 entschied, mit dreißig Jahren, die Zirkus- und Theaterschule CAU in Granada zu besuchen.

Meine erste Berührung mit einem Zirkuselement hatte ich 2004. Damals zeigte mir jemand – das war vor dem Wiener Szenelokal Flex beim Donaukanal – ein paar Bewegungsgrundlagen und wie man einen bei Feuershows verwendeten Stock und Pois (Ketten mit schweren Enden) dreht.

Ich fing Feuer und seitdem spiele ich damit. Ungefähr ein Jahr später sind meine damalige Freundin und ich per Autostopp entlang der kroatischen Küste unterwegs gewesen. Die Reise finanzierten wir uns mit Feuershows. Wobei, na ja, es waren noch keine wirklichen „Shows“, eher ein bisschen „Rumgedrehe“ und nebenher Schnorren, aber unsere Zuschauer*innen waren dennoch sehr begeistert.

Nichtsdestotrotz ist mir das Spiel mit dem Stock und Poi auch recht schnell wieder langweilig geworden, weil ich mit den wenigen Bewegungsabläufen an eine Entwicklungsgrenze gestoßen bin.

Erst als mir bei einem Festival jemand die vielfältig anwendbaren Bewegungskonzepte für das Spiel mit dem Stock erklärte, entfachte das meine Begeisterung erneut.

Das hat mir ein kleines Bewegungsuniversum voller Herausforderungen und Inspirationen eröffnet. Das notwendige Training, um immer neue Tricks und Bewegungsabläufe zu lernen, wird über die Jahre immer länger und härter. Aber es gibt nichts Schöneres, als zu erleben, wie diese Abläufe Teil des instinktiven Bewegungsrepertoires werden und in einer freien tänzerischen Improvisation kreativ zusammengeführt werden können.

Es ist als würde man das Tanzen immer wieder ganz neu entdecken. Im Spiel ist man ganz im Moment, vollkommen in der Bewegung und denkt nicht an die Vergangenheit oder Zukunft. Das ist wohl für viele, die sich in der einen oder anderen Form den „Flow Arts“ verschrieben haben, eine der fesselndsten Erfahrungen.

Nachdem meine Freude am Stock spielen wieder erwacht war, fuhr ich drei Sommer lang – Auto stoppend – mit einer Freundesgruppe die südlichen Küsten entlang und machte Feuershows. Ganz langsam habe ich dann auch die Jonglier- und Zirkusszene in Wien entdeckt.

Entscheidend für meinen Weg zum Zirkus war auch die CIRCA (Insurgent Rebel Clown Army. Ich war jahrelang mit meiner ganzen Energie und Leidenschaft politisch aktiv. Ich habe ökonomische Projekte, wie den Kost-Nix-Laden in Wien, umsonst aufgebaut, Häuser besetzt, Projekte für die Migrationsfreiheit unterstützt et cetera.

Die Clown Army ist eine kreative Form des zivilen Ungehorsams, die um 2005 herum in England, im Rahmen der Anti-Globalisierungsbewegung entstanden ist. 2007 gab es ein Training in Wien, um für den G8 Gipfel in Heiligendamm zu mobilisieren. Wir waren ein paar hundert Clowns bei den Blockaden.

Anstelle die „Machthaber“ und Kontrollorgane zu konfrontieren und zu blockieren, unterstützt und hilft man bei der CIRCA mit vollem Elan, um dabei aber clowntypisch zu scheitern.

Für mich persönlich war die Clown Army auch ein wichtiges Werkzeug mit meinen zahlreichen Gewalterfahrungen bei Protesten umzugehen. Clowns werden auch der Sensationssucht der Medien gerecht, die sonst nur von Ausschreitungen befriedigt wird. Außerdem konterkariert die Unschuld des Clowns das martialische Auftreten der Staatsgewalt.

Wenn vonseiten der Polizei jemandem auf den Kopf gehauen wird, hebt die geschlagene Person die Hände, um sich vor weiteren Schlägen zu schützen. Auf einem Foto davon, sieht man jedoch nur einen Kampf und der wird fast immer zu Gunsten der Polizei ausgelegt. (Side Story)

Diese mediale Strategie ist in Heiligendamm perfekt aufgegangen. Eine der brutalen Verhaftungen eines Clowns wurde fotografiert. Als interessantes Bild ist das in vielen Zeitungen gelandet. Die Polizeipressestelle hat wie immer reagiert und eine legitimierende Geschichte von Gewalthandlungen erfunden, nur eben angepasst an Clowns. Demnach sind wegen Säure in den Spritzpistolen einige Polizist*innen im Krankenhaus gelandet. Trotz der Absurdität dieser Behauptung, übernahm die Presse in ihrem üblichen Modi Operandi, alles wie von der Polizei geschildert. Aber es reichte, dass ein Journalist daran zweifelte und in allen Krankenhäusern nachfragte und natürlich wurde kein/e einzige/r Beamt*in durch Säure verletzt.

Es gab ein Motto bei der Clown Army: “Run away from the circus and join the CIRCA!” Aber das ist eine Tür ,die in beide Richtungen aufgeht. Meinen ersten Partnerakrobatik Workshop habe ich im Clown Camp in Heiligendamm bei einem israelischen Clown besucht. Vor allem war es meine erste Berührung mit der Figur des Clowns. Eine Figur, die helfen kann, die eigene Ungenügsamkeit und Fehlerhaftigkeit zu akzeptieren oder sogar zu lieben. Der Clown, als reine Bühnenfigur, muss unterhalten und brillieren. In der Clown Army lernt man nicht diesen domestizierten Typ des Clowns kennen.

Schlussendlich haben mich diese Erfahrungen der Bühne und anderen Körpertheaterformen näher gebracht. Aber der Zugang, ähnlich wie beim Feuerspielen, war von einer Leichtigkeit und Lebensfreude geprägt und stand dem Fokus auf Leistung und Konkurrenz in vieler Hinsicht völlig entgegen.

Beim Feuerspielen waren Leute begeistert ganz ohne zu urteilen, ob die Tricks jetzt einem hohen Level entsprachen. Wir hatten Freude beim Spielen, die Leute beim Zusehen. Der Clown, den ich kennen gelernt habe, hat nichts mit Unterhaltung, die andere Übertreffen muss, zu tun, sondern richtet sich auf die persönliche Innenwelt, den Umgang mit Problemen und kollektive Kooperation.

Als Drittes würde ich noch meinen Kontakt zur Jonglier- und Zirkusszene anführen. Neben wöchentlichen offenen Trainings, spielen Conventions eine zentrale Rolle. Diese meistens an einem Wochenende stattfindenden dreitägigen Veranstaltungen, werden fast immer vollständig ehrenamtlich und daher extrem günstig organisiert.

Es gibt auch andere Formate, wie die European Juggling Convention, die jedes Jahr in einem anderen Land für zehn Tage mehrere tausend Leute zusammenbringt. Jede*r, auch die besten Artist*innen der Welt, kommen dort hin und bieten Workshops an. Dieses Skillsharing und der damit einhergehende Geist der geldlosen Kooperation prägt diese Szene massiv und hat einen utopischen und „kommunistischen“ Charakter, der mir von Anbeginn an enorm zugesagt hat und alles andere als selbstverständlich ist.

Dem Zirkus wohnt auf einer tiefen existenzialistischen Ebene eine Daseinslogik inne, die mir extrem sympathisch ist. Zirkus ist die Perfektion der absoluten Sinnlosigkeit, aber im positivsten Sinn, als höchste kulturelle Ausdrucksform, als Rebellion gegen kapitalistische Funktionalität und als Befreiung vom Zwang der vermeintlichen Notwendigkeiten.

Wie würdest du den Unterschied zwischen traditionellem und zeitgenössischem Zirkus definieren und wo positioniert sich der von dir mit-begründete DADAZIRKUS?

Es geht im zeitgenössischen Zirkus nicht um eine reine Zurschaustellung von Tricks, so wie das im traditionellen Zirkus der Fall ist.

Im zeitgenössischen Zirkus werden die zirzensischen Disziplinen oft mit Bewegung und Tanz verknüpft, wobei die ästhetische oder kreative Komponente dabei wesentlich mehr Bedeutung gegenüber der Schwierigkeit von Tricks gewinnt.

Die zeitgenössische Keulenjonglage recherchiert zum Beispiel wie viele unendliche Bewegungsmöglichkeiten es mit nur einer Keule oder maximal drei Keulen gibt. Das Ziel ist also nicht mit mehr Keulen jonglieren zu können, sondern mit weniger. Interessantes Detail am Rande: ab vier Keulen beginnt sich der Bewegungshorizont drastisch zu reduzieren.

Mit Dada Zirkus machen wir Zirkustheater, das sich jedoch dezidiert vom Theaterkonzept des zeitgenössischen Zirkus unterscheidet. Wir versuchen Geschichten zu erzählen und schlüpfen in Rollen.

Postmodernen Konzepten folgend verabschiedet sich der zeitgenössische Zirkus da, wo er Theater verwendet, allerdings vom Narrativ. Theatrale Momente entfalten sich höchstens in einer kurzfristigen Situationslogik und der Gesamtzusammenhang eines Stück bleibt assoziativ oder konzeptionell.

Wir hingegen gehen so weit, dass wir sogar versuchen zirzensische Elemente als Sprache einzusetzen und ihnen eine klare semantische Bedeutung innerhalb des Narrativs zu verleihen. Das ist natürlich schwierig und die Möglichkeiten sind begrenzt. Vor allem, wenn man mehr als nur abstrakte Inhalte oder Stimmungen vermitteln und nicht nur auf einige wenige abgenutzte Klischeekontexte zurückgreifen will, wie zum Beispiel auf einen Kampf als Rahmen für Partnerakrobatik

Entscheidend ist bei unseren Arbeiten aber auch immer der Humor. Als positive Bewältigungsstrategie für die Probleme der Gesellschaft, erlaubt er uns, einen alternativen Blick auf den kulturellen Wertekatalog zu werfen. Statt sich positiv auf Verletzungen als Abhärtung zu beziehen, gewährt er uns, mit kritischer Leichtigkeit über die schwierigen Seiten unseres Leben und unserer Sozialisation zu lachen.

Der Humor ist bei uns einerseits oft sehr simpel, fast schon slapstick-haft, wie das Scheitern des Clowns. Andererseits haben wir aber auch einen sehr abstrusen und schrägen Humor, der mit den wildesten Assoziationen hantiert.

Danke für diese überaus interessanten Ein-Sicht-en, die mich zu meiner nächsten Frage führen: „Ist die zeitgenössische Zirkustheaterkunst für dich ein Instrument, um der Welt deine Ansichten mitzuteilen oder welches Motiv treibt dich an?

Wie ich vorhin schon ausgeführte: ich habe mich über lange Zeit in Zirkus und Theater verliebt. Es ist für mich eine Spielwiese, um mich kreativ auszuleben. Und auch, wenn es absurd klingt, ist es für mich der bisher realistischste Überlebensentwurf im Kapitalismus.

Mein vorrangegangener Lebensinhalt als revolutionärer Anarchokommunist, war zwar für mich richtiger, aber leider war die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich an der Gesellschaft zerbreche, als umgekehrt. So gesehen ist die Zirkuskunst meine Realitätsflucht.

Du hast 2013 gemeinsam mit André Reitter die Compagnie DADAZIRKUS gegründet, wie kam es dazu, was für eine Geschichte verbindet dich mit André Reitter?

André hat einige Zeit im Kost-Nix-Laden, den ich mitgegründet habe, mitgemacht. Auch sonst waren wir in einer ähnlichen linksradikalen Subkultur unterwegs.

Er hat unabhängig von mir hobbymäßig zu jonglieren begonnen. Deshalb habe ich ihn gefragt, ob er sich uns im Sommer anschließen will, wenn wir die spanischen Küste entlang fahren und dabei unser Geld mit Feuershows verdienen. Dabei haben wir uns dann besser kennengelernt.

Er hat schnell beschlossen, dass das Spiel mit dem Feuer nichts für ihn ist, weil es zu dreckig und stinkig ist. Aber es war für ihn trotzdem ein wichtiger Schritt in Richtung Zirkus. Wir haben dann gemeinsam begonnen Partnerakrobatik zu trainieren. Den Zirkus Akademie Lehrgang vom Zirkus Kaos in Wien und einige Pantomime Kurse haben wir gleichzeitig besucht. Irgendwann kam die Idee auf eine gemeinsame Partnerakrobatiknummer zu entwickeln.

Das war die Grundlage für Dada Zirkus. Die Nummer entwickelten wir über einen langen Zeitraum weiter und spielen sie noch immer.

Ein wichtiger Schritt war unser Beschluss die Zirkus- und Theaterschule in Granada zu besuchen. Unsere Abschlussarbeit war eine erweiterte Version der Nummer, die wir schon in Wien entwickelt hatten. Das ergab ein halbstündiges Stück mit dem Titel „Das Sein verwirrt das Bewusstsein“. das wir schon bald wieder in Wien, Bleiburg, Leibnitz und Graz spielen werden.

In diesem Stück entwickelten wir auch unsere beiden Charaktere, die sich auch im nächsten Stück „Picknick for One“ wiedergefunden haben und für uns charakteristisch geworden sind: Eine bärtige Ballerina und ein amorphes Schwabbelwesen.

Beide Figuren spiegeln irgendwie unsere Persönlichkeiten wieder, aber es sind gleichzeitig auch spielerische und dekonstruktivistische Umgänge mit heteronormativen Geschlechterbildern. Und sie stehen generell für unsere inhaltliche Ausrichtung und unseren künstlerischen Stil.

Mit nonverbalem Körpertheater sind wir viel stärker an Stereotypen und Klischees gebunden, um verständlich zu bleiben. Viele von diesen Normen sehen wir aber als problematisch und extrem langweilig an.

Wir haben daher zwei Strategien: Einerseits das Spiel mit dem Klischee durch Übertreibung, Umherspringen zwischen gegensätzlich Polen, falsche Kontextualisierung, Vermischung mit inkompatiblen Elementen et cetera.

Anhand der bärtigen Ballerina wird das gut sichtbar, die ja männliche und weibliche Klischees in einem verkörpert.

Andererseits die Schaffung neuer Handlungs- und Bedeutungsmuster, die nicht in der semiotischen und kulturellen Ordnung aufgehen und daher absurd und surreal wirken, wie das amorphe Schwabbelwesen, das überhaupt keinen geschlechtlichen Zuschreibungen entspricht.

Wie ging es dann, nachdem ihr den Boden für den DADAZIRKUS aufbereitet habt weiter? Wie viele Künstler_innen arbeiten zum Beispiel jetzt im Kernteam des DADAZIRKUS? Wie findet ihr eure Inhalte und Geschichten für eure Stücke? Wer führt Regie oder seid ihr ein basis-demokratisches Künstler_innen-Kollektiv?

Direkt nachdem wir von der Zirkusschule zurückgekommen sind, haben wir Roxanne Szankovich gefragt, ob sie für uns die Musik machen will und sie war sofort begeistert. Sie ist eine Virtuosin mit der Geige und obwohl sie ihre Ausbildung am Konservatorium absolviert hat, hat sie sich auf Improvisation spezialisiert. Dadurch ist sie extrem vielseitig und kann unglaublich gut auf verschiedene Situationen reagieren.

Zu dritt sind wir quasi das Kernteam. Der Befriff „Neuer Zirkus“ war in Österreich ein Fremdwort und es gab dafür lange keinerlei Unterstützung oder Strukturen. Daher dachten wir nach dem Zirkusschulabschluss 2015, dass sich höchstens gelegentlich bei Veranstaltungen die Möglichkeit bieten würde mit kurzen Nummern aufzutreten.

Als nach langjährigen Lobbyarbeiten 2016 eine eigene Förderschiene für „Neuen Zirkus“ vom Bundeskanzleramt eingeführt wurde, hat sich die Situation grundlegend verändert.

Wir reichten das Stück „Picknick for One“ ein. Mit dabei war die Clownin Elisabeth Zenz, mit der wir davor im Rahmen der „europäischen Theaternacht“ schon einmal unsere Nummern zu einem Stück verschmolzen haben. Als Regisseur haben wir uns den Italiener Matteo Spiazzi dazu geholt, der auf Commedia dell’arte spezialisiert ist, was unserem Körpertheaterstil sehr ähnlich ist. Eigene Zirkusregisseur*innen gibt es in Österreich nicht wirklich. Vor allem kannte er unsere Arbeit und mochte unseren Stil.

Nach der ersten Spielserie wurde Elisabeeth mit Zwillingen schwanger und wir haben die Jongleurin und Zirkusartistin Ruth Biller als Ersatz gewinnen können. Unsere Stücke sind stark auf die mitspielenden Personen zugeschnitten und das nicht nur artistisch, sondern auch auf den Charakter und Spielstil. Daher mussten wir „Picknick for One“ stark überarbeiten. Obwohl die Geschichte fast komplett ident geblieben ist, hat sich das Stück dadurch massiv gewandelt.

Für das nächste Stück „Genesis“ fragten wir wieder Matteo Spiazzi als Regisseur an, holten aber einen weiteren Jongleur und Zirkusartisten, Michael Zandl, dazu. Mitten im Entwicklungsprozess stellte sich aber heraus, dass er einen unglaublich guten Job in den Niederlanden bekommen hat und daher nicht wie geplant nach Wien zurückziehen würde. Deshalb hatten wir mitten im Prozess einen Wechsel. Statt ihm ist sein Bruder, Bernhard Zandl, bei uns eingestiegen.

Zu deiner Frage, wie wir die Inhalte für unsere Stücke finden: Die Erarbeitung eines Stückes kann bei ganz unterschiedlichen Aspekten beginnen. Sie kann von einer Geschichte oder einem Thema, von Charakteren, zirzensischen Techniken, Musik oder einem Aufführungsort et cetera ausgehen.

Bei uns stehen am Anfang fast immer einige zirzensische Techniken, weil es Sachen gibt, mit denen wir uns gerade beschäftigen. Das grenzt bei den weiteren Schritten natürlich ein, aber es dient auch als inspirierende Ausgangslage. Als nächster Schritt suchen wir nach einem recht allgemeinen Thema beziehungsweise einem Grundrahmen für eine Geschichte und binden dabei auch schon den Regisseur mit ein.

Haben wir ein Thema gefunden versuchen wir so etwas wie „Forschungsfragen“ daraus abzuleiten. Diese erlauben uns dann, ohne Regisseur, alleine im Team mit dem kreativen Herumspinnen zu beginnen.

Dabei entwickeln wir unglaublich viel Material: zirzensische Abläufe, choreografische Sequenzen, kleine theatrale Szenen oder auch nur Bilder. Damit treffen wir uns dann wieder mit dem Regisseur und versuchen daraus neue Ideen für die Dramaturgie zu entwickeln, aber vor allem auch zu konkretisieren und wieder neue, gezieltere „Forschungsfragen“ zu entwickeln.

So geht das hin und her und der Prozess verengt sich immer mehr. Die ursprüngliche Idee kann dabei ganz verworfen werden, aber im Prinzip wird so, aus einer ganz abstrakten und unkonkreten Idee, die alles ins Laufen brachte, ein konkretes Stück mit einer klaren Dramaturgie.

Wie gestaltet sich deine und eure Einkommenssituation, könnt ihr von eurer künstlerischen Tätigkeit leben oder müsst ihr zusätzlich andere Jobs annehmen, um überleben zu können?

Dank der Förderung für Neuen Zirkus vom Bundeskanzleramt können wir mit Dada Zirkus vernünftige Produktionen machen, die auch eine wichtige Einkommensquelle für uns alle darstellen.

Da es so etwas auf Länderebene nicht gibt und es zumindest in Wien fast unmöglich ist eine Projektförderung zu bekommen, sind die Produktionen immer unterfinanziert beziehungsweise halb gefördert und damit auch prekär.

Durch volle Aufführungen schaffen wir es, das etwas zu kompensieren, aber es bedeutet unendlich viel Bewerbungsaufwand, der hauptsächlich ehrenamtlich passiert.

Alle haben daher auch andere Projekte, in der freien Szene, in Bands et cetera oder Nebenjobs. Mein Hauptprojekt ist „Flame Rain Theatre“. Wir machen Feuershows für Hochzeiten und Firmenevents, aber auch Feuertheatershows bei Straßenkunstfestivals. Das ist prinzipiell lukrativer.

Wie schaut es mit euren Arbeitsbedingungen aus, wo finden die Proben statt, wo führt ihr eure Produktionen auf?

Gerade beim Proberaum sparen wir auch viel und können die schlechte Finanzierung etwas kompensieren.

Über die Jahre haben wir in Wien immer wieder irgendwo gratis oder enorm günstigen Zugang zu Räumen gefunden: Gemeinschaftsräume von Wohnungssiedlungen, Jugendzentrumsräume, Zwischennutzungen.

Bei der Zirkusarbeit ist oft auch die Raumhöhe ein Problem. Zum Glück gibt es die offenen Trainings, die jeden Tag am Abend irgendwo – meist in hohen Schulturnsälen – stattfinden. Im Sommer haben wir auch oft draußen in Parks trainiert und geprobt.

Seit einiger Zeit sind wir viel in Graz, wo ich mittlerweile auch lebe. Hier gibt es mit dem Probenhaus, das von der Interessensgemeinschaft „Das Andere Theater“ organisiert wird, eine unglaublich geniale Infrastruktur. Der freien Szene stehen fünf Proberäume gratis zur Verfügung.

Ja, das kann ich nur bestätigen, das Probenhaus in Graz ist österreichweit einzigartig, während meiner Graz-Zeit hat mir das mein künstlerisches Arbeiten auch sehr erleichtert. Aber bitte erzähle weiter.

Zu unseren Auftritten: Wir spielen in diversen Städten in ganz Österreich. Den Großteil unserer Aufführungen organisieren wir selbst, es gibt nur wenige Theater, die uns engagieren. Ins Ausland verschlägt es uns selten. In den letzten zwei Jahren waren wir in Südtirol, in Estland und in Israel.

Für viele Künstler_innen und Gruppen ist die Teilnahme an Festivals etwas Erstrebenswertes, wie ist das bei dir beziehungsweise bei euch, wart ihr bei „wichtigen“ Festivals dabei? Habt ihr Preise gewonnen?

Wir waren bei ein paar Festivals, aber „wichtigen“? Das würde ich nicht so sagen – irgendwie ist doch alles gleich wichtig oder?

Anfangs haben wir es bei Straßenkunstfestivals probiert. Die haben uns zwar manchmal gebucht, aber nur wenn sie nicht ganz verstanden haben, was wir machen. Das sind meistens Familienfestivals, denen wir definitiv viel zu abgefahren sind.

Mit Dada Zirkus habe/n ich / wir noch keine Preise gewonnen, aber mit meiner anderen Gruppe „Flame Rain Theater“. Für die Feuer-Theater-Show „Große Flammen und kleine Katastrophen“ haben wir den Jurypreis beim Brouwsel Op Straat in Belgien gewonnen und außerdem wurde unsere Hochzeitsshow schon mehrfach mit dem Austrian Wedding Award ausgezeichnet.

Bei den großen internationalen Zirkusfestivals haben wir noch nie gespielt, es ist sehr schwer dort unterzukommen.

Wir sind aber immer wieder bei großartigen kleineren Festivals in Österreich zu sehen: als nächstes sind wir am 25. März 2023 beim Puppille Festival in Gleisdorf und wenn es terminlich bei uns klappt, sind wir im Oktober bei den internationalen Puppentheatertagen in Mistelbach und im nächsten Jahr bei den Theatertagen Weissenbach.

Bei meiner nächsten Frage bin ich mir nicht sicher, ob sie sich nicht bereits erübrigt hat: Gehören aus deiner Sicht soziales Engagement und/oder gesellschaftspolitische Themen und Kunst zusammen?

Das ist eine gute Frage, auf die ich gerne antworte: Ich bin der Meinung, soziales Engagement sollte zu jedem Tätigkeitsfeld gehören. In meinem Fall hat mein künstlerisches Dasein mein politisches aber eher abgelöst, weil ich nur noch wenig Zeit habe.

Zu politischer Kunst habe ich aber ein sehr kritisches Verhältnis. Es gibt hiezu einen sehr einfach gedachten Zusammenhang: Thematisierung eines Problems – Verständnis und Aufrütteln beim Publikum – Veränderte Wirkung auf die Gesellschaft. Dass dieser Kausalzusammenhang nicht ganz aufgehen muss, lässt sich mit dem aristotelischen Konzept der Katharsis erklären. Es ist ein befriedender und therapeutischer Effekt, die Probleme vorgespielt zu bekommen und sie so durchleben zu können. Dies führt aber dazu, von unangenehmen Gefühlen gereinigt zu werden und gesellschaftliche Probleme besser ertragen zu können.

Das ist etwas ganz anderes, als in einer Theater-Vorstellung aufgerüttelt zu werden und mit Taten- und Veränderungsdrang aus einer Vorstellung zu gehen.

Eine therapeutische Wirkung ist natürlich auch legitim und Dinge zu akzeptieren, wenn sie sich nicht verändern lassen ist auch wichtig, aber das ist wohl nicht das Selbstverständnis von kritischen Künstler*innen.

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es gesellschaftliche und institutionalisierte Dynamiken gibt, die kritische und gefährliche Kräfte in die Kunst drängen und dort Entfaltungsmöglichkeit anbieten, um sie zu zähmen und zu entschärfen.

Kunst wird so zur Gummizelle oder zum Tollhaus, jedoch für den kritischen Geist ohne echte Wirkkraft. Würde ich in einem ernst gemeinten politischen Aufruf mit einer relevanten Öffentlichkeitswirksamkeit den Satz: „Sprengt das Parlament!“, sagen, hätte ich wahrscheinlich sehr schnell ernsthafte Probleme. Würde ich ein Kunstprojekt mit genauc diesem Titel machen, würden die Parlamentarier*innen zusehen und nachher eventuell anerkennend sagen: „Sie haben ja keine Ahnung. In Wirklichkeit ist es noch viel schlimmer bei uns, als Sie es dargestellt haben.“ Das es ungefähr so ablaufen würde, erscheint in unserer Gesellschaft intuitiv logisch und verweist darauf, dass eigentlich jede*r über diesen Sachverhalt weiß, dieser aber mit viel Aufwand ignoriert und das Gegenteil behauptet wird.

Mir ist klar, dass ich hier extrem verallgemeinere und nur einen Aspekt von politischer Kunst erläutere und es unzählige parallele Wirkungen gibt, die teilweise sogar entgegenläufig sind. Ich will aber niemanden verteufeln, die ihre politische Kritik künstlerisch äußern.

Mein Umgang damit ist: Ich mache Unterhaltung. Kritische Inhalte haben dabei primär einen intellektuellen Unterhaltungsanspruch. Mein soziales Engagement siedle ich wo anders an. Bedeutsam ist für mich dabei, was real ist und nicht bloß künstlich/symbolisch.

Danke Arno, als nächstes würde mich interessieren, was dir die Begriffe Familie und Heimat bedeuten?

Begriffe sind immer eine schwierige Angelegenheit, weil viel Unterschiedliches darunter verstanden werden kann und in Debatten dann oft vollkommen aneinander vorbeigeredet wird.

Als Familie verstehe ich einerseits ein Verwandtschaftsverhältnis und andererseits auch starke intime Verbundenheit, die dann zum Beispiel auch auf Freund*innen zutreffen kann. Zum Glück kann ich sagen, dass ich diese Verbundenheit mit meinen engeren Verwandten habe. Wenn das nicht so ist, kann man auch sehr darunter leiden. Vor allem wenn man den Anspruch hat, dass es zusammenfallen muss.

Ich denke, dass es zu Familie sehr viele starke normative Vorstellungen gibt zum Beispiel wie das Kleinfamilienidyll auszusehen hat. Wie Menschen Beziehungen aufbauen und halten, ist aber sehr vielfältig. Menschen sollten vieles ausprobieren und frei entscheiden können, wie sie mit anderen leben wollen.

Heimat kann man so verstehen, dass es die Umgebung ist, wo einem alles vertraut ist und man sich zu Hause und geborgen fühlt. In diesem Sinne, kann es alles Mögliche sein und Heimat wird zu einem sehr individuellen Begriff und auch einem schönen.

Aber natürlich ist er auch immer vollkommen durchdrungen vom Konzept der Nation und mit diesem diskursiv verschmolzen.

Das imaginäre metaphysische Konzept der Nation hat Gott und Religion nach deren Fall als Herrschaftslegitimation im Mittelalter ersetzt. Über Jahrhunderte wurde dieses Konzept vom Absolutismus bis zum modernen kapitalistischen Staat entwickelt und mit unzähligen Handlungen und Erzählungen aufgeladen, um ihm eine quasi materielle und reale Grundlage anzudichten. Jede Form der Verbindung, der von mir zuerst angeführten Definition von Heimat, mit dem Nationalen ist eine solche emotionale Aufladung einer Nation.

Wenn es irgendeine emanzipatorische und wünschenswerte Entwicklung unserer Gesellschaft geben würde, wäre eine der wichtigsten Voraussetzungen die Zerschlagung der Gedankenkonzepte von Nation und Volk. In so einer befreiten Gesellschaft könnte man den Begriff Heimat vielleicht wieder ohne dieser mörderischen Konnotation neu besetzten. Davor, so fürchte ich, kann sich der Begriff nicht emanzipieren.

Dürfen wir von dir noch erfahren, ob du in einer Beziehung lebst und wenn ja, wie wichtig diese in Bezug auf deine künstlerische Tätigkeit ist?

Ich bin seit über sechs Jahren in einer unglaublich schönen und inspirierenden Beziehung mit Katharina. Sie ist auch Zirkusperformerin und teilt meinen Geschmack und Zugang zur Kunst.

Mit ihr gemeinsam habe ich auch die Feuergruppe gegründet. Wir haben sogar ein eigenes artistisches Feld den Partner-Dragon-Staff. Das ist unser artistisches Neuland, indem wir gemeinsam Techniken und Bewegungen erfinden können.

Seit Corona wohnen wir auch noch gemeinsam. Diese enge Verbundenheit von Beziehung, Arbeit, Wohnen und Kunst empfinde ich als etwas extrem Bereicherndes.

Und hier kommt nun auch schon meine letzte Frage: „Was sind deine Ziele, was möchtest du noch erreichen, gibt es Pläne für die Zukunft?

Ein schönes Leben für alle. Die Rettung der Umwelt. Das Ende von Staat, Patriarchat und Kapital. Die Emanzipation von unnötiger Notwendigkeit und freie und kreative Entfaltungsmöglichkeiten für alle. Spielen und kuscheln statt arbeiten.

Danke, lieber Arno, für das Interview.

Infos:

www.flame-rain.at

https://www.dadazirkus.at

https://www.facebook.com/dada.zirkus

https://www.instagram.com/dadazirkus/

https://akrosphaere.at/dadasphaere/

https://www.youtube.com/@DadaZirkus/videos

Termine&Karten:

www.dadazirkus.at/genesis

www.zirkustermine.at

https://akrosphaere.at/dadasphaere

Fotocredits: Franzi Kreis, Mark Morgan, Christina Bercaczy, Katharina-Nelböck-Hochstetter

Author: Mona May

1 thought on “Arno Uhl: Vom zirzensischen Dada-Sein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert